Montag, 29. Februar 2016
Auf geht `s (Berlin, den 5.10.2015)
Heute morgen ging es mir mis(erabel). Ich hatte solche Bauchschmerzen...na selbst Schuld, wenn man als Laktoseintoleranter denkt, so mir nichts dir nichts einen dicken Käsekuchen (am Vorabend) im Restaurant verdrücken zu können... das bleibt natürlich nicht ohne Folgen.
Fazit- ich sitze im Auto nach Wilmersdorf mit Bauchgrummeln und Schlapp was das Zeug hält...denke mir aber.... die Frauen kann ich jetzt nicht hängen lassen...kommt denn überhaupt jemand, bei dem herrlichen Wetter?...im Hof werde ich dann heute nicht singen und auch nicht im Kinderzimmer...Kräfte sparen!

Wie blöd kurve ich um das Rathaus herum in der Hoffnung einen Parkplatz zu finden. Just in dem Moment als ich mir sage, wenn du jetzt keinen Parklatz findest, fährst de wieder nach Hause...hast ja eh Bauchschmerzen und es hat halt dann nicht sein sollen...Schwups, da ist ein Plätzchen frei (in meiner Lieblingsparkstrasse) und drinnen bin ich!

Als ich zum Rathaus wandele (völlig benebelt) begrüßt mich ein Flüchtling, der mich wohl kennt, den ich aber nicht erkenne.
"SCHADE dass du heute nicht im Hof singst...ich hab dich nur einmal vor einem Monat gehört und das war spitze", meint der Wächter am Tor. Bei den ständig wechselnden Wächtern verliere ich den Überblick wer mich nun kennt.

Im dritten Stock angekommen, werde ich freundlich von Muna (der Dolmetscherin, die ich anfänglich für eine Lehrerin gehalten habe) begrüßt. "Heute kannst du dich mit den Frauen austoben, die Deutschlehrerin kommt nicht." (Na ja, austoben wird wohl heute nix, denke ich mir, so ne Schlaftablette, die ich heute bin...)
"Ich geh nur schnell(!) mal in den vierten Stock um mich wegen des Deutschunterrichts bei den Kindern zu erkundigen und dann bin ich gleich (!) wieder da."
Ich schlich in den vierten Stock und konnte nur in Erfahrung bringen, dass der Unterricht schon wieder vorbei war... "Die Kinder sagen einfach «Tschüß» um 11:00 Uhr und gehen", sagt mir eine abgespannt wirkende Lehrerin, die gerade Einzelunterricht mit einem Flüchtling macht. Na so was?

Also gehe ich wieder runter. Drei Frauen sitzen im Frauenzimmer am Tisch. Als ich meine Gitarre auspacken möchte blickt mich eine der drei Frauen kläglich an. Sie habe Kopfschmerzen und wolle jetzt KEINE Musik, lässt sie mich über Muna wissen. Die anderen beiden Frauen blicken mich jedoch freudestrahlend an und Muna meint: "Fang doch bitte einfach an, dann kommen die anderen schon dazu."

Ich fange an: Wir wiederholen die Wochentage, die Fragestellungen, Familienmitglieder, Tageszeiten, Zahlen bis 100. Nach und nach füllt sich den Raum...es ist wieder sehr voll!
Wir haben Spaß und fangen sogar an, meinen "ABC Rock and Roll", den ich gestern bei Mariellas Hausaufgaben-Odyssee improvisierte, zu machen. Laut und mit eifrigem Einsatz ist die Frau, die sich anfänglich über Kopfschmerzen beklagt hatte... und die gar keine Musik wollte...mit dabei. So viel dazu, "ich will KEINE Musik!"-

In einem langen Gespräch motivierte mich Muna im Anschluss des Unterrichts: - Das, was ich mit den Frauen mache, sei eine Nische, man könnte daraus ein "Mega Business" machen.-
Sie bat mich, die Arbeit/das Singen mit den Frauen zu Infozwecken filmen zu dürfen.
Nachdem sich diverse Helferinnen bei mir über die ach so schlimme Situation im Kinder¬zimmer und der mangelnden Disziplin im Kinderunterricht ausgelassen hatten, bin ich mit der Erkenntnis, jeder sieht die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln, zurück zu meinem Auto.

Ich war jedenfalls wieder frohen Mutes...mein Bauch tat nicht mehr weh...und ich muss schmunzeln als ich mit dem Auto nach Hause gen Mariedorf düse.

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Montag, 22. Februar 2016
So viel Sonne (Berlin, den 28.9.2015)
Am Samstag waren wir bei den Markthallen am Marheinekeplatz, wo ich mit Klavier-Helmuts "flying" Piano auf der Bergmannstrasse ge-jammed hab.
Sonntag haben Mariella und ich Gunnar beim Berlin Marathon bei Kilometer 18 mit Gitarre "zugesungen".

Völlig erschöpft kamen Marie und ich 15 Minuten bevor Gunnar vorbeilief beim hotspot (km 18) an. Da wir DIESMAL auf keinen Fall Gunnar verpassen wollten, sind wir super schnell in die Stadt geradelt, etwas früher loszufahren wäre natürlich auch eine Option gewesen!
Ich stand somit völlig verschwitzt mit meiner Gitarre am Straßenrand und besang die Läufer "Lauft, nur noch doppelt so weit, dann seid ihr bald da"... Sah dabei sicher selber so aus, als hätte ich mindestens 30 km auf dem Buckel. Abklatschen erwies sich mit Gitarre als unmöglich, da musste dann ein "Thump up" reichen. Meine "Kleine", völlig platt, hielt das Plakat mit: "Papa Hopp!" auf Halbmast, die Rasseln hingen herab und Mutter ging ab wie Schmidts Katze. Na Prima!

Hätte Gunnar uns nicht zugerufen, dann hätten wir ihn glatt wieder verpasst. Also jetzt immer mit Gitarre an die Läuferbahn. Wieder was dazugelernt!
Im Anschluss sind Marie und ich noch zum Tempelhofer Flughafen und Marie hat mit Untermalung ihrer singenden Mutter die Matheübungen für den Mathetest am Dienstag/ morgen auf dem Feld erledigt. So macht lernen Spaß!
Dann wurden wir nach einer schönen Überraschungsgeburtstagsfeier für eine Freundin noch mit dem Blutmond, den wir vom Badezimmerfenster aus um 4:09 betrachten konnten, belohnt. Also wenn das mal kein mega WE war, dann weiß ich auch nicht!

Nach diesem wunderbaren, superschönen/sonnigen Wochenende bin ich heute bei strahlendem Sonnenschein zum Rathaus Wilmersdorf und habe mich dort nach dem Registrieren erstmal in den Hof gesetzt und mein Plektron rausgekramt.
- Ich hatte mir gestern die rechte Hand beim spielen, als die E-Seite riss, verletzt und deshalb mein Plektron eingesteckt.
Irgendwas muss ich wohl verkehrt machen...ständig reißen mir die Gitarrenseiten...sie halten einfach dem Enthusiasmus, den ich an den Tag lege, nicht stand. Da kann ich nur froh sein, dass ich Stimmbänder wie Drahtseile habe.-

Sofort sammelte sich ein Pulk von Frauen, Kindern und Männern in freudiger Erwartung um mich herum. Hektisch suche ich das kleine Plättchen... hier muss es doch irgendwo in der Handtasche sein...ich hab es doch ganz sicher eingesteckt. Mit zitternden Händen habe ich dann endlich den Korpus Delikti aus der Tasche gefischt, und los geht´s.

Meine Stimme schallt in den Hof, begeisterte Gesichter lassen mich allen möglichen vokalistischen Quatsch machen. Das macht Spaß... es werden Stühle herangezogen ... es wird mitgesungen...getanzt...! Da kommt ein junger Mann zu mir und bittet mich seine Gitarre zu stimmen, da er auch mitspielen möchte. Ich stimme also seine Gitarre so gut es geht.

Kurz darauf spielt er von einer anderen Ecke des Hofes aus mit. Wir singen alle "Die Sonne scheint, das Herze lacht". Eine Helferin, die sich dazugesetzt hat, kommt so richtig in Fahrt. Sie streckt die Arme in die Luft und singt aus vollem Halse: DIE SONNE SCHEINT. "Das ist toll!", jubelt sie immer wieder. Als ich am Ende meine Postkarten verteile, ruft die Helferin aufgebracht dazwischen (da ich erst an die Flüchtlingen verteile und es ihr nicht schnell genug geht): "Ich will aber auch eine!"

Ich blicke auf die Uhr. Es wird Zeit, zum Deutschunterricht der Frauen zu gehen. Nein, sagen die Kinder und zeigen vom Hof aus auf das Fenster vom Spielzimmer. Ich gehe dann umringt von den Kindern in den 2. Stock erst mal ins Frauenzimmer, wo mich gleich die nette Dolmetscherin freudestrahlend empfängt. "Du hast noch Zeit und kannst natürlich erst noch ins Kinderzimmer" - "Gut!"

Ich gehe also in das Kinderzimmer und singe mit den Kindern: Die Sonne scheint! - Farben (grün, gelb, rot, pink, neu dabei sind heute :lila und orange). Ein 11-jähriger Junge ist mächtig motiviert, so dass ich ihm später eine Karte mit bunten Farbherzen gebe. Er schreibt seinen und meinen Namen drauf und sagt, dass er nächsten Montag wieder kommt.

Kurz darauf sitze ich im Frauenzimmer und wir wiederholen singend den Stoff von den letzten Wochen. Neu dabei sind nun die Worte: Vater, Mutter, Großmutter, Großvater, Kinder, Eltern.... Ich mache immer wieder lustige vokale Einlagen, was die Frauen zum lachen bringt. Wir haben alle mächtig Spaß und kommen gut voran.
Am Schluss ist eine Frau so begeistert, dass sie mit temperamentvollen Gesten der Dolmetscherin mitteilt, wie toll sie mich findet. "Die Frauen lieben dich, Lia", sagt sie. "Du bist doch nächsten Montag wieder da?" - "Na klar!"

Es macht mir immer wieder so viel Spaß mit/für die Flüchtlinge zu singen. Nächstes mal, sage ich mir, werde ich etwas mehr Zeit mitbringen, damit ich mich auch mal mit den Frauen unterhalten kann. Näheres über sie erfahren kann, denn sie haben nun das Vertrauen zu mir und ich glaube sie würden sich nun auch gerne mit mir austauschen.

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Dienstag, 16. Februar 2016
Was für ein Tag (Berlin, den 21.9.2015)
Heute bin ich aber so was von verquollen aufgewacht. Halsschmerzen, Magenschmerzen, alle Glieder taten mir weh...hatte ich mich am Samstag bei der Tempelhofer Feld Session im strömenden Regen doch erkältet? ...Macht nix, das war es wert, wir hatten so viel Spaß: Der Regen hatte eine Menge schutzsuchender Menschen zu uns unter den Riesen Schirm (Zelt) getrieben wo wir (Freunde und Familie) beisammen saßen, und ich Gitarre spielte und sang. Eine freudige Ausgelassenheit brach aus, als ich "Singing in the rain" improvisierte und wir sangen für Stunden gemeinsam weiter. Es war eine super Stimmung, aber Mords-kalt!

Nichts desto trotz bin ich dann mit einem Schwung aufgestanden. Und los ging's, Frühstück, versäumte Hausaufgaben in Englisch mit Marie noch schnell am Frühstückstisch machen...Gestern: "Nö, wir haben keine Hausaufgaben!" - "Sicher nicht Marie?" - "Nein wirklich nicht!" Und heute morgen, was für ein Schreck, "Die Seite habe ich ja gar nicht gesehen, da muss ich noch voll viel ausfüllen!" - Na Bravo! Dann mit Fahrrad in die Schule geeiert...langsamer, und wir wären rückwärts gefahren!

In der Schule (endlich) angekommen dann erst mal einen Anpfiff vom Klassenlehrer, warum wir IHN nicht ALS ERSTER informiert hätten, dass Maries Brille weg ist (nur allen anderen Lehrern haben wir`s gesagt, aber IHM nicht!) Er sei schließlich der Klassenlehrer und ALLES geht erst mal über IHN. Vor 10 Tagen verloren? "Na dann kann ich jetzt nix mehr für euch tun. Hättet ihr mir das früher gesagt, dann [hätte ich Mariellas Brille nicht zum Frühstück gegessen...-mein Gedanke- so doof hat der reagiert!] hätte ich euch helfen können!"

Nachdem ich noch im Sekretariat meine Anmeldungen für die Sing AG abgeholt hatte bin ich dann wieder nach Hause geeiert (auf dem Rad!).
Selbst 5 Minuten Föhnen hat mich nicht aufwärmen wollen. Ich also meinen wärmsten Pulli mit Kapuze angezogen und meine Hausmittelchen gezückt. Emser-Salz, Vitamin B und Iberogast. Gitarre geschnappt und ab ins Auto... die Heizung auf volle Touren...immer noch eiskalt. Jetzt werden alle Register gezogen...die Sitzheizung hat es dann endlich geschafft...mir wird endlich warm.

Am Rathaus angekommen finde ich direkt vor dem Eingang einen Parkplatz. Na, geht ja!
Der nette Deutsch-Araber begrüßt mich: "Na, mal wieder da?" - "Klar!"
Ich hatte schon im Vorfeld über die Facebook-Seite der Helferinnen erfahren, dass man sich nur noch mit Pass registrieren kann. Alles ging reibungslos.
Ich also wieder zu den Kindern ins Spielzimmer. "Toll, du machst wieder Musik?" Eine nette Kanadische Helferin funkelte mich freudestrahlend an. "Das war so schön letztes Mal, erkennst du mich noch?" - "Ja klar!"

Meinen üblichen Platz einnehmend packe ich unter erstaunten, etwas kritische Blicken meine Gitarre aus und fange an zu spielen. Heute wiederhole ich die Farben. "Der Teppich ist grün." - Einige Kinder (nur Jungen) setzten sich nach einer Weile auf den Teppich. "Grün" - singen wir gemeinsam. "Die Sonne ist gelb." - "Gelb!", tönt es aus den kleine Kinderstimmchen. Begeistert zeigt das einzige Mädchen, das auf einer Truhe sitzt, auf ihren Pulli. "Der Pulli ist pink" ...jetzt wird gerappt...das finden alle toll!
Auf einmal, aus dem nichts heraus, springt ein Junge auf (er hat zuvor eifrig mitgerappt) und fängt an die anderen Jungs zu malträtieren. Er boxt, kneift und schlägt um sich!
Also das kann ich jetzt gar nicht haben... Streng blicke ich ihn an und sage, nachdem ich ihn mehrfach zu verstehen gegeben hatte, das das so nicht läuft, nun mit lauter Stimme (und meine Stimme kann wirklich laut sein!) das er damit aufhören soll! Alle zucken zusammen, nur der zornig gewordene Junge nicht. Ich packe meine Gitarre ein. Die anderen Kinder blicken mich traurig an. Das kann es doch jetzt nicht gewesen sein? Sie wollen alle unbedingt weiter singen, geben sie mir zu verstehen. Eine Helferin nimmt daraufhin den zornig gewordenen Jungen mit nach draußen und wir singen weiter.

Na, das war ja noch mal gut gegangen, denke ich und gehe mit meiner Gitarre in der Hand zum Frauenzimmer. Da begrüßt mich die nette Deutsch/ Arabische Übersetzerin (die ich anfänglich für die Lehrerin gehalten hatte) mit den Worten: "Die Frauen waren ja alle so begeistert von Dir! Schön, dass du wieder gekommen bist."
Ich sage ihr, dass es auch mir viel Freude bereitet habe mit den Frauen zu singen/arbeiten und gehe weiter in das Zimmer, wo sich schon so viele Frauen versammelt hatten, dass kein Stuhl mehr frei war. Eine nette Helferin brachte mir daher einen Stuhl und ich setzte mich nachdem ich die Lehrerin begrüßt hatte an die Seite.

Es war noch nicht ganz 12:00 Uhr, also wollte die Lehrerin erst einmal den Unterricht mit den Frauen ohne mich anfangen. Es war ein solches drunter und drüber, alle redeten durcheinander, als die Lehrerin versuchte den Unterschied zwischen Du und Sie im deutschen zu erklären. Da half es auch nicht, dass eine weitere deutsche Helferin mit Kopftuch auf die Lehrerin einredete wie sie das am besten den Flüchtlinge erklären sollte. Verzweifelt blickte mich die Lehrerin an und fragte: "Können wir das mit Musik versuchen?" Als ich meine Gitarre auspacke wird es still, und die Frauen winkten und zwinkern mir zu, als die Lehrerin ankündigt, ich würde nun mit ihnen singen.

Nun legen wir wieder gemeinsam los: "Wie heißt du" / "Wie heißen Sie?" - "Woher kommst du" / "woher kommen Sie?" - So schallt es in den Gang hinaus - Juhu...das macht so richtig Spaß! Die Frauen kommen beim Zahlen-Rap so richtig in Fahrt "1, 2, 3...", diesmal geht es bis 20. Die Lehrerin und ich arbeiten wieder super zusammen.
"Guten morgen, guten Tag, guten Abend, gute Nacht"...immer wenn es unruhig wird, lasse ich mir etwas lustiges einfallen, einen "Scht, Scht, Scht"-Rap oder ein klassisches/ opern¬haftes: "Leise Leise"... das lässt die Frauen freudig lächeln und sofort innehalten. So macht das lernen mächtig Spaß!

"Wow", meint die Lehrerin am Ende der Stunde, "wir haben heute so viel geschafft, wie sonst nicht in einer ganzen Woche...die Frauen lieben Sie! Wie machen sie das bloß? Sie sagten doch am Anfang, dass es Ihnen heute nicht so gut ginge. Man hat ja gar nicht gehört, dass sie Halsschmerzen haben."
Es macht mir auch so viel Spaß mit den Frauen zu singen/ zu arbeiten, sie sind alle mit so viel Freude dabei und das ist die beste Medizin für mich. Am Ende kommt eine Frau nach der andern zu mir, drückt mir die Hand und bedankt sich freudestrahlend bei mir. Eine Frau ist so überschwänglich, dass sie mich auf die Wange küsst.

Ich werde von einer Helferin die nun reinkommt angesprochen. "Das hat ja so toll geklungen ich habe die ganze Zeit draußen gelauscht. Am liebsten hätte ich mitgesungen/ mitgemacht." - "Warum sind Sie denn dann nicht rein gekommen?" - "Na ich wollte nicht stören!"

Beim Hinausgehen treffe ich die Helferin, die den kleinen zornigen Jungen beim singen mit den Kindern hinausgebracht hatte. Ich wollte mich bei ihr bedanken, da meint sie, sie sei "komplett durch". - "Was ist denn?" - Der kleine Junge habe sie in die Wade gebissen. Sie zieht ihre Leggings hoch und zeigt mir eine blau unterlaufene dicke Bisswunde. Ich bin sprachlos und nehme die Helferin in den Arm. Die Jungs hören nicht gut auf uns Helferinnen, die machen was sie wollen, die Kinder sind von dem ganzen Spielzeug (es ist wirklich bedeutend mehr geworden) völlig überreizt. Wir müssen ständig hinter ihnen her räumen. Weniger Spielzeug wäre besser, meint sie. Das ist mir auch schon aufgefallen, sage ich. Gott sei dank gibt es hier auch männliche Helfer, auf die reagieren die Jungs besser.

Wir gehen dann noch gemeinsam in den 4 Stock, wo die Klassenräume für die Kinder eingerichtet sind. Sie bekommen jetzt auch immer Vormittags Deutschunterricht, da werde ich mich auch mal drum kümmern, ob ich dort beim Unterricht mit den Kindern singen kann.
Ich gehe vorbei an einer mächtigen Schlange von Flüchtlingen, die nun bis zum Treppenhaus hinaus in der Kantine zum Mittagessen anstehen und melde mich am Ausgang ab.

Als ich im Auto sitze ist mir gar nicht mehr kalt, sondern geradezu heiß.
Was für ein Tag!

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Dienstag, 9. Februar 2016
So dankbar (Berlin, den 14.9.2015)
Nachdem mir heute morgen ein super Parkplatz (auf der Strasse, in der ich schon zweimal fündig geworden war) vor der Nase ...zack...weggeschnappt wurde, kurvte ich erstmal wieder tierisch in den Strassen um das Rathaus herum...nix da... kein Parkplatz in Sicht. Also ich kurzerhand wieder in MEINE Glückstrasse zurück...so leicht gebe ich nicht auf...und siehe da, meine Hartnäckigkeit wird belohnt...ich bekomme jetzt doch wieder einen Platz in meiner Lieblings- Parkstrasse.

Als ich mit meiner Gitarre zum Rathaus gehe fällt mir gleich wieder eine immense Menschenansammlung auf, die vor dem Infostand am Eingang des Hofes steht. Der Infostand ist aber zu. Nanu, denke ich, heute keine Registrierung möglich? Etwas erstaunt frage ich eine ältere Dame mit orange-roten Harren und grünem T-Shirt, ob sie darauf wartet sich am Infostand zu melden. "Infostand? Nee, der ist hier nicht...gehen se mal direkt zum Eingang und fragen da."

Also ich zum Eingang, wo mir ein sehr netter deutsch/ arabischer Wächter mitteilte, dass der Infostand nun rechts den Gang hinunter im Rathaus sei und ich mich dort anmelden könne. Na, erst war der Infostand im Hof, dann auf dem Bürgersteig vor dem Rathaus und nun also im Rathaus. Aller guten Dinge sind drei, sag ich und der Wächter gibt mir mit einem breiten Grinsen recht.

Auf meine Frage, ob es einen Grund gibt, weshalb der Infostand ständig seinen Standort wechselt, wissen die Damen am Infostand auch keine Antwort. Ich trag mich dann also wieder in die Liste ein und bekomme ein Umhängeschild auf dem ich meinen Namen schreibe. (Nächstes mal, sage ich mir, werde ich meinen Namen auf Arabisch schreiben)
Dann gehe ich mit meiner Gitarre in der Hand wieder durch den Hof ins Hauptgebäude, in den 3. Stock, vorbei an einer Putzfrau, die emsig die Böden schrubbt. Alles glänzt und riecht schön sauber!

Im Kinderzimmer angekommen, zieh ich meine Schuhe aus, begrüße die 4 Helferinnen (die keine Miene verziehen) und fange an zu singen. Die Kinder spielen emsig weiter, wobei das ein oder andere Kind ab und zu aufblickt und mich freudestrahlend ansieht und erkennt. Es klappern die Kästchen und rascheln die Gegenstände über den Boden. Der Raum wird voll und voller...bis kaum mehr ein Plätzchen übrig ist. Die Kinder scheinen wie von der Musik getrieben zu spielen. Nach und nach bildet sich wieder ein Grüppchen um mich herum. 5 Mädchen, ein kleiner Junge, eine Mutter mit Babymädchen. Wir singen Farben: grün, gelb, rot, pink... während das kleine 1 Jährige Babymädchen mit grün, pink gebundenen (antennenartigen) Zöpfchen (die im Takt mitwippen) mal um mich herumtanzt, dann auf der Gitarre schlägt, oder mit ihrem freudestrahlenden Lächeln mich inne halten lässt, um ihm übers Köpfen zu streicheln. Die Mutter dokumentiert/ filmt unseren Gesang auf ihrem Handy. Wir haben alle super Spaß!

Nach 1 Stunde verabschiede ich mich mit Luftküsschen und verteile Herzkarten...bis nächsten Montag...winke ich den Mädels zu...die mich gar nicht gehen lassen wollen.... und gehe gegenüber ins Frauenzimmer. Dort sitzen bereits ca. 10 Frauen in U-Form (darunter auch die Mutter mit ihrem süßen Babymädchen) um eine Tafel herum. Ich begrüße die Lehrerin, eine sehr nette deutschsprachige Araberin und setze mich mit meiner Gitarre neben die Tafel vor die Frauen.

Ich blicke in 10 paar dunkle Augen..."was kommt jetzt...gibt´ s etwa jetzt Musik?"
Die Lehrerin fragt mich, ob ich ein Lied mit Zahlen kann. "Na klar", sage ich, "benennen sie mir nur die Themen, die sie mit den Frauen machen wollen, und ich improvisiere ein Lied darüber." Die Lehrerin freut sich (verhalten)... "das ist ja schön!"
Und los geht´ s. Ich singe die Zahlen 1-10. 10 paar Augen fangen an zu strahlen...oh, das ist schön...die Frauen singen nach und nach mit! Erst geht`s ganz langsam 1, 2, 3,..... dann immer schneller ... huch, die Frauen kichern... nun ist es etwas zu schnell geworden... ich verlangsame das Tempo wieder.... so geht´ s prima! Das macht allen Spaß, die Lehrerin ist begeistert. Das klappt ja prima!

Kurz darauf schallt es rockig aus dem Frauenzimmer: "Wie heißt du?" - "Ich heiße..." - "Woher kommst du?" - "Ich komme aus dem Irak/ Syrien" ... "Wie geht es dir?" - "Mir geht`s (jetzt wieder) gut" (ich bekomme einen Kloß im Hals)...so macht lernen Spaß. Die Frauen sind begeistert!
Das kleine Babymädchen weicht die ganze Zeit nicht von meiner Seite. Wackelt, quietscht und turnt um mich herum. Auf einmal kitzelt es an meinen Füssen. Was ist das? ...Oh nein wie süß, das kleine Babymädchen benetzt meine Füße mit sanften Küsschen... Ich muss fast vor Freude weinen.....ich kann nicht mehr und halte kurz inne- ICH BIN SO DANKBAR!

"Montag, Dienstag, Mittwoch" ... nun rappe ich mit den Frauen die Wochentage...wer nun bis dahin etwas verhaltener war, blüht nun richtig auf !
Die Frauen wollen jetzt ALLE immer Musik... so wie mit mir, geben sie uns zu verstehen, wollen sie jetzt IMMER arbeiten.
Ich bekomme ein mulmiges Gefühl im Magen. Oh weia, jetzt bloß nicht die Lehrerin verprellen. Ich blicke verstohlen in ihre Richtung. Doch sie ist ebenfalls begeistert... ja das machen wir jetzt immer so... du kannst mit den Frauen von 12:00-13:00 Uhr dann alleine arbeiten/singen.. ich habe eh schon so viel zu tun und den Frauen gefällt das singen/lernen mit dir so gut!

Nach dem Unterricht stimmen zwei Frauen ein arabisches Folkslied an (ich gebe den Rhythmus auf der Gitarre) und die anderen klatschen. Die Stimmung ist jetzt ausgelassen!
Nun wird meine Postkarte mit arabischen Untertitel (wann ich das nächste mal zum singen komme) im Frauenraum, von den zwei Frauen, auf den Stundenplan geklebt.

Die Lehrerin gibt mir zwei Bögen mit Übungen, die ich bitte nächste Woche mit den Frauen machen kann. "Eigentlich haben wir ja auch die Frage: «Wo wohnst Du?» im Lernprogramm", meint sie (wir müssen beide schlucken und entscheiden uns dafür, diese Frage nicht mit ins Programm zu nehmen).

Dann möchte die Lehrerin von mir ganz schnell wissen, wie sie ihre Stimme schonen könne, denn sie sei schon chronisch heiser und hätte ständig Kehlkopfentzündungen. Na ...also, ich ihr gesagt, sie solle doch versuchen weiter nach vorne zu sprechen, da sie recht kehlig/ nach hinten spricht.
"Aber wie soll ich das denn tun?" - "Na, in die Maske, den Nasen-/Augenraum, hinein sprechen." - "Ach so..." (...aber so richtig hat sie das wohl nicht verstanden. Wie auch, das muss man in mehreren Jahren immer wieder üben...das geht nicht so auf die Schnelle).

Um 13:15 gehe ich fröhlich (mit der Dankbarkeit im Herzen durch meine Musik so viel Freude bereitet zu haben) mein Umhängeschild am Infostand abgeben und verabschiede mich bei dem freundlichen deutsch/arabischen Wächter. "Bis nächsten Montag..." - "Ja, Montag bin ich hier, dann singst´e aber auch mal wieder für uns alle im Hof, ok?"
"Ok wird gemacht...wenn`s Wetter schön ist!"

Im Auto kommen mir fast wieder die Tränen. -Ich bin so dankbar-

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Montag, 8. Februar 2016
Und weiter geht´s ...(Berlin, den 7.9.2015)
Nach einem wunderschönen Wochenende mit der Familie, wir hatten Gunnar`s 40-sten ausgiebig gefeiert, waren wir alle (Mariella, Gunnar und ich) recht bematscht heute morgen. Nichts desto Trotz ist Mariechen schließlich unter viel Gezeter zur Schule und Gunnar mit knirschenden Zähnen, nach vergeblicher Schlüsselsuche, zu seiner Arbeit ins Amt.

Ich hatte mich gestern Abend dafür eingetragen, heute ins Rathaus Wilmersdorf zu fahren. Eigentlich wollte ich am Mittwoch gehen, aber der Timetable ist (erfreulicherweise) diese Woche für die Highlights, bis auf heute morgen, voll.
Hatte sich letzte Woche außer mir keiner dafür eingetragen, sah das diese Woche ganz anders aus!

Da Mariechen heute morgen über Bauchschmerzen klagte, wollte ich, falls sie mich anrufen würde, auf jeden Fall erreichbar sein und mein Handy mitnehmen. Nachdem ich etwas auf meiner klassischen Gitarre (die Seiten sind weicher) geübt/gespielt hatte, nahm ich das Handy zur Hand, es war ausnahmsweise mal aufgeladen. Mit müden Augen tippte ich den Pin ein ...falsch, keine Chance... nach 3 Fehlversuchen war nun die PUC dran, die ich natürlich nicht wusste...meine Rettung in der Not war (mal wieder) Gunnar.

Es war bereits 11:00 Uhr geworden und ich machte mich mit meiner leichteren/Konzert- Gitarre auf. Ich bekam diesmal direkt!!! einen Parkplatz (in der Strasse wo ich letzten Montag nach vieler Rumkurverei einen Platz gefunden hatte).

Ich ging Zum Rathaus, wo sich nun vor dem Hof, auf dem Bürgersteig, ein Pulk von fleißigen Helfern um den Infostand versammelt hatte! Als ich so auf den Infostand zuging begrüßte mich einer der Flüchtlinge, ein ältere Herr (der Schifferklavierspieler), den ich bereits vom letztem Mal kannte, mit einem freundlichen Händedruck. Ich mache heute wieder Musik, er nickte mir anerkennend zu! Am Infostand gab ich an, für was ich mich eingetragen hatte (das "Highlight" ging mir nun leichter über die Lippen) und bekundete, dass ich wieder gerne mit den Kindern singen würde. Die junge Frau am Infostand erkannte mich : "Toll, dass sie wieder da sind, sie haben ja so eine schöne Stimme!". Ich wollte wissen, ob ich das nächste mal in die Kleiderkammer Kinderklamotten abgeben könne. "Spielen/singen sie bitte lieber für/mit den Flüchtlingen, Kinderklamotten bekommen wir schon mehr als genug."
Na denne!...

Also bin ich wieder mit meiner Gitarre in der Hand durch den Hof zum Rathaus. Ich laufe gerade so zielstrebig auf den Eingang zu, da kommt mir ein junger Flüchtling entgegen. Zeigt auf die Gitarre...."Geschenk?" ... "Wenn ich dir die Gitarre jetzt gebe/schenke, kann ich nicht mehr für euch und mit euch singen und spielen, willst du das?" Erschrocken gibt er mir zu verstehen, dass er das auf gar keinen Fall möchte und blickt mir mit einem Augenzwinkern nach!

Ich bin dann (routiniert wie ich war!), erst mal in den falschen, 2.Stock, anstatt in den 3 Stock, ins Frauenzimmer. Hier waren mehrere Helferinnen versammelt und um eine Tafel herum standen mehrere Flüchtlingsfrauen. Eine seriös wirkenden deutschsprachige Araberin (eine Lehrerin?) kam mir entgegen, blickte auf die Gitarre in meiner Hand und meinte freundlich: "Sie machen Musik? Schön...aber wir machen jetzt Deutschunterricht mit den Frauen, da passt das nicht so recht mit der Musik." - "OK" sage ich, "kein Problem, dann geh ich mal ins Kinderzimmer gegenüber."

Im Kinderzimmer sitzen 4 Kinder, mit 3 Helferinnen um einen Tisch und kneten....etwas abseits sitzt eine schwangere Flüchtlingsfrau mit einem kleinen Jungen. Ich setze mich an meinen gewohnten Platz und fange an zu spielen und zu singen. Sofort richten sich die Kinderaugen erst verwundert...jedoch schnell begeistert auf mich. Sie nehmen sich wie von der Musik gelenkt (wieder) ihre Stühlchen und setzten sich um mich.

Nach und nach füllt sich der Raum mit immer mehr Kindern. Die schwangere Mutter blickt mich sanft und freundlich an. Ich improvisiere, erst nur vokal dann perkussiv...ein musikalisches Herantasten... das gefällt! Ich motiviere die Kinder mit zu machen ... "Salom" ..."Hallo!" - "Könnt ihr denn auch mitsingen?" - Die, die mitsingen bekommen eine Karte von mir mit Herzchen drauf gemalt! "Ich will auch eine Karte mit Herzchen", sagt eine von den Helferinnen... stellt sich hin und singt ein Lied welches ich nicht kenne. Also, jetzt schnell die Akkorde raushören und mit einstimmen!

Ein kleiner Junge (ca.5 Jahre alt) möchte dann auch mit mir singen und beginnt einen Sprechgesang auf Arabisch ...ich improvisiere, er wird immer mutiger und liegt gut in der Tonart...ich singe eine Harmonie dazu...Die anderen Kinder blicken erstaunt auf...der Kleine kommt so richtig in Fahrt..., da zischt ein ca. 9 jähriges Mädchen (wahrscheinlich seine ältere Schwester) auf Arabisch dazwischen... Ihre Mimik sagt er möge jetzt sofort aufhören!!...Wir machen unbeirrt weiter...jetzt fängt das Mädchen an laut dazwischen zu zetern... Ich gebe ihr zu verstehen, dass sie gerne mitmachen/singen kann, wenn sie möchte. Sie schüttelt aber vehement den Kopf! Der Kleine hört kurz danach auf zu singen.

Das Mädchen stellt arabische Musik auf einem Handy an und gibt mir zu verstehen, ich solle diese Musik auf meiner Gitarre spielen! Jetzt bin ich in der Zwickmühle...ich bitte das Mädchen, dichter an mich heran zu kommen, so dass ich die Musik besser hören kann und versuche die Akkorde rauszuhören...keine Chance...es will mir nicht gelingen... Dumm gelaufen, ich kann die Akkorde nicht finden und gebe dem Mädchen zu verstehen, dass ich leider keine arabische Musik auf der Gitarre spielen kann, bitte sie aber mir das Handy mit der Musik näher an mein Ohr zu halten und fange an, mit der Musik mitzusingen! Das Mädchen ist jetzt zufrieden und weicht mir von da an nicht mehr von der Seite.

Ich gehe dazu über, Zahlen, Farben, Tiere auf deutsch zu singen...ein grooviger Rhythmus lässt die Kinder mitwippen/ die Zahlen, Tiernamen, Farben mitsingen. Die Deutsch/Arabische Lehrerin blickt um die Ecke und nickt mir zu. Nach 1 Stunde packe ich meine Gitarre wieder ein und verabschiede mich von den Kindern (mit "Give me five" Handschlag) und den freiwilligen Helferinnen.

Kurz schaue ich noch mal im Frauenzimmer vorbei...da ist bereits der Unterricht vorbei ... einige Helferinnen, darunter die Deutsch/Arabische Lehrerin stehen noch beisammen. Freudestrahlend lässt die Deutsch/Arabische Lehrerin die andern Helferinnen wissen, dass ich soeben unglaublich mit den Kindern "abgefetzt" hätte. Sie fand das ganz toll!
- "Das müsste man auch mit den Frauen machen...dann würden die viel schneller die Vokabeln lernen! Komm doch bitte nächste Woche bei uns vorbei und dann bauen wir deine Musik in den Unterricht ein! Wir treffen uns nämlich regelmäßig Montags, Mittwochs und Donnerstags Vormittags. Denn die Flüchtlingsfrauen hatten uns gebeten ein beständiges Team zu bilden, weil der ständige Wechsel an Helfern sie verunsichert. Es wäre schön, wenn du von nun an mit dabei wärst!" - ! Hört, Hört!

Beim rausgehen musste ich schmunzeln, so dass die Security-Lady (eine stämmige junge Frau mit Nasenring), die jetzt am Ausgang stand, fragte: "Na, schön gesungen mit den Kindern? Welche Kinderlieder haste denn so gesungen?""Ich, ..." (wie soll ich das nun erklären?...) "na, ich habe improvisiert...Farben, Tiere Zahlen!"Der Nasenring hebt und senkt sich bedenklich, sie blickt mich verdattert an, so als hätte ich chinesisch gesprochen. "Na so: ", sagte ich und lege los! "Mann - oh - Mann so eine große Stimme hab ich jetzt nicht erwartet, was es nicht alles gibt!"Lächelnd gebe ich mein Namensschild draußen am Infostand ab und ziehe mit meiner Gitarre in der Hand zum Auto...Nächsten Montag komme ich wieder!

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Donnerstag, 28. Januar 2016
Ein schönes Erlebnis (Berlin, den 1.9.2015)
Ich habe gestern in der Flüchtlingsunterkunft im Rathaus Wilmersdorf gesungen. Ich musste erstmal mit dem Auto so einige Runden drehen, eh ich endlich einen Parkplatz fand...leider bin ich nicht mit dem Fahrrad (wegen der Distanz und meiner Gitarre im Gepäck) gefahren! Am Eingang begrüßten mich deutschsprachige Araber/ Türken sehr freundlich und fragten nach meinem Anliegen. Ich bekundete, dass ich mich als Musiker/Sänger für die Highlights eingetragen hatte (ein super strukturiertes System ermöglichte einem sich als Helfer, ganz unprätentiös, in den verschiedensten Sparten über Internet selber einzuteilen). "Highlight?!" funkelte mich der junge Mann mit seinen leuchtenden Augen an. "Na ja, so wurde es auf der Liste der Webseite zum eintragen betitelt", sagte ich verlegen. "Na dann gehen sie mal zum Infostand im Hof und tragen sich ein."

Also ging ich mit meiner Gitarre in der Hand in den Hof zum Infostand. Alles war bestens organisiert. Ich sollte mich doch bitte in der Liste eintragen und vielleicht mit den anderen freiwilligen Helfern, die die Frauen und Kinder betreuen, und die sich auch schon vor dem Infostand versammelt hatten, mitgehen.

Wir bekamen im Rathaus dann die Schlüssel für die beiden Räume im 3 Stock. Ich war beeindruckt, als ich die liebevoll eingerichteten Zimmer sah. Für die Kinder Spielzeug, Kissen, CD´ s...so wie in einem wohl sortierten KiTa Raum. Hier gab es 4 Freiwillige Helferinnen.

Im ebenfalls gemütlichen Frauenraum haben wir die Tische gesäubert, Kerzen aufgestellt und ich habe mit zwei weiteren sehr netten Helferinnen auf die Frauen gewartet.
Als wir da so gemeinsam saßen und nach 15 Minuten keine der Flüchtlingsfrauen erschien, meinte eine Helferin: "Geh doch einfach in den Hof singen...da sind jetzt so einige Flüchtlinge nach dem Frühstück".

Also bin ich wieder runter in den Hof habe am Infostand gefragt, ob das ok ist, wenn ich nun auf dem Hof singe, da noch keine Frauen/Kinder in den Aufenthaltsräumen seien... "Ja", das sei eine prima Idee.
Also habe ich mir einen Stuhl geschnappt und habe mich mitten auf den Hof gesetzt. Als ich die Gitarre auspackte bekam ich ein leicht mulmiges Gefühl...was sollte ich spielen/singen?...wie werden die Flüchtlinge reagieren?...haben die jetzt eigentlich Lust meine für sie fremde Musik zu hören?...Tief durchatmen...vertraue auf dein Gefühl ...schau dich um...wie ist die Reaktion?...Ein paar Männer sitzen 20 m entfernt in Grüppchen zusammen... ein älterer Herr kommt in meine Richtung...ich fange an zu spielen "Coming home" ...meine Stimme hallt von den Rathausmauern wider...ich merke wie der ein oder andere mit dem Kopf nickt...der ältere Herr setzt sich 10 m entfernt von mir in eine Sesselecke, seine Familie kommt nach und nach dazu (zwei kleine Mädchen, eine jüngere Frau mit Kopftuch). Sie wippen leicht mit dem Fuß den Takt.

Ich improvisiere, mal perkussiv, mal soulig...Dann spiele ich zwei von meinen Stücken: "Ganz allein nur du" und "Love", wobei ich immer viel zwischendrin improvisiere, da ich merke, dass die Improvisationen, die nun immer mehr flamenkisch (Flamenco-mäßig) werden, den Flüchtlingen gut gefallen.
Ein älterer Herr kommt ganz nah ...er gibt mir zu verstehen, dass er nicht singen, aber Schifferklavier spielen kann. Drei junge Männer kommen näher, lassen sich motivieren im Takt mit zu rufen "EH". Das heißt "ja" auf Arabisch, geben sie mir zu verstehen. Die kleine Gruppe 20 m entfernt macht auch mit.
Ich gehe dazu über, rein vokalistisch/ flamenkisch mit viel Perkussion (auf der Gitarre) zu singen. Das scheint allen sehr gut zu gefallen, die zwei kleinen Mädels kommen dichter heran und bewegen sich im Rhythmus, ein kleines Baby quietscht fröhlich auf.
Ich bin in meinem Element...der Schweiß rinnt mir von der Stirn (es sind 35 Grad im Schatten)...eine Seite meiner Gitarre reisst...ich singe/ spiele weiter.

Nach 45 Minuten packte ich meine Gitarre unter freundlichem Zunicken der Zuhörer wieder ein. Ich ging noch mal zum Infostand im Hof um Bescheid zu geben, dass ich noch mal zu den Aufenthalts-/ Betreuungsräume der Frauen/Kinder ins Rathhaus gehe. Da kam eines der kleinen Mädchen, die mit ihrem Großvater und ihrer Mutter in der Sesselecke gelauscht hatte, auf mich zu. Sie winkte mich an sich heran, so als wolle sie mir etwas sagen und gab mir freudestrahlend ein Küsschen auf die Wange. Die Mutter und der Großvater blickten mich freundlich an. Ich bekam feuchte Augen...was für eine Wärme...die großen braunen Augen des kleinen Mädchens und ihre wunderschönen zu Zöpfen gebundenen langen lockigen Haare bleiben in meinem Herzen und Gedanken.

Ich ging wieder mit meiner Gitarre in den 3ten Stock zum Frauenraum...da saßen immer noch nur die zwei Betreuer und mit der Weile hatte sich eine Sozialpädagogin dazugesellt. Wir sprachen ein wenig miteinander und ich bekam den Eindruck, dass die Sozialpädagogin die Einrichtung etwas abschätzend betrachtete. Sie war enttäusch, dass sich keine Flüchtlingsfrauen zeigten. Sie war der Ansicht, die Flüchtlinge seien undankbar und zog nach wenigen Minuten, mit der Begründung, wieder ab: "Ich habe genug gesehen, danke!"

Hallo? Wissen wir, was die armen Menschen in der letzten Zeit alles haben durchmachen müssen? Vielleicht ist den Frauen erstmal daran gelegen, auszuschlafen und nach all den Strapazen sind sie froh, ein Dach über dem Kopf, ein Bett, Essen, Wasser und vor allem etwas Frieden zu haben. Da denken die doch erstmal nicht daran, sich mit irgendwelchen Menschen auszutauschen, die sich erwartungsvoll in einen Raum setzen, geschweige denn therapeutische Gespräche zu suchen (zumal wegen der Sprachbarriere dies eh nicht möglich ist). Dieses Flüchtlingslager mit 500 Flüchtlingen (mit ca. 350 Männern und 150 Frauen und Kindern) ist zudem ein Übergangslager in dem die Flüchtlinge nicht lange bleiben.

Nachdem ich noch nett mit den beiden verbleibenden Betreuern geredet hatte und sich eine weitere freiwillige Helferin zeigte, ging ich nochmal gegenüber in den Raum für die Kinderbetreuung. Da waren nun die 4 Betreuerinnen rührselig mit 2 Kindern beschäftigt. Ich habe mich in eine Ecke gesetzt und angefangen, Gitarre zu spielen und zu singen. Nach und nach lugten kleine Kinderköpfchen durch die Türe und gesellten sich zu uns. Sie setzten sich im Kreis um mich und ich fing an, einige Lieder, "Der Zug", "Hallo", aus meinem Konzept "Singen für Kinder" mit ihnen zu singen. Da ich schon länger nicht mehr so viel Gitarre gespielt hatte, fingen die Fingerkuppen meiner linken Hand an zu schmerzen und ich ging zu meiner Mundperkussion über. Sie riefen nach meinen Anweisungen "Hallo", "Salom", "Tschüss", "che" dazwischen. Wir hatten alle mächtig Spaß!
Ich habe einem Mädchen, da es besonders gut mitgemacht hat, eine Postkarte von mir gegeben...sie hat die Postkarte verwundert, wie einen kleinen Schatz, entgegengenommen.

Erfüllt von den Ereignissen des Vormittags in dem Flüchtlingslager habe ich mich, nachdem ich auch noch ein nettes Gespräch mit einem der Organisatoren dieser freien Bürgerinitiative im Rathaus Wilmersdorf hatte, mit Gunnar im "Brachvogel" zum Mittagessen getroffen. Er bewog mich, nachdem ich ihm von meinem Besuch im Flüchtlingslager berichtet hatte, alles aufzuschreiben.

Ich möchte nun gerne, einmal wöchentlich, so lange die Flüchtlinge meine Musik hören wollen, im Rathhaus für/mit ihnen singen!

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