Mittwoch, 13. Juli 2016
Unfassbar (Berlin, den 29.2.2016)
Heute hatte ich eigentlich gar nicht vor in Rathaus zu fahren..., aber da ich schon mal in der Gegend war und noch etwas Zeit hatte, bin ich kurz entschlossen hingegangen.
Mit großen Augen begrüßten mich die Frauen...Ahhh da ist ja die Musik....heute ohne
Gitarre ?!- "Ja , ich bin heute einfach mal spontan vorbeigekommen." Freudestrahlend lächelt mich Muna an: "Das ist ja eine Freude dich heute zu sehen Lia, toll siehst du aus mit deinem roten Outfit! Ich setzte mich zu Muna in das Nähzimmer und wir unterhalten uns angeregt über Munas Erfahrungen in der Waldorfschule und tauschen Meinungen aus.

Es ist mir immer wieder eine große Freude mich mit ihr auszutauschen. Muna ist so angenehm ruhig, gelassen und dabei sehr warmherzig. Ich sprudele über wie ein Vulkan und Muna ist der wohltuende ruhige Bach der vorbeizieht. Wir müssen beide lachen, als uns das bewusst wird. Wir haben den größten Respekt voreinander. Immer wieder begrüßt uns ein bekanntes/neues freundliches Gesicht, reicht uns die Hand und freut sie uns zu sehen! Es herrscht eine schöne innige und wohltuende Stimmung.

Auf einmal flitzt eine Junge Frau, ca. 18/ 19 Jahre alt, an uns vorbei. Sie hat Platin blond gefärbtes zu einen feschen Bob geschnittene Haar, eine enge Jeans und einen engen Wollpullover an. Beides unterstreicht ihre schöne schlanke Figur. Sie stellt sich in die äußerste Ecke vom Nähzimmer, blickt uns mit ängstlichen Augen an. "Ja, Du kannst gerne hier bleiben", sagt Muna warmherzig. Die Frau blickt schnell weg und scheint mit ihrem Mobiltelefon und den in ihre Ohren gestöpselten Kopfhörer beschäftigt. Plötzlich fängt sie an zu schlurzen, ganz kurz weint sie, blickt aus dem Fenster und läuft hektisch, wie getrieben aus dem Zimmer.

Nanu was ist das? Wir sind verwirrt! Draußen im Gang stehen ein paar junge Flüchtlingsmänner (ebenfalls mit Handy) vor einer Zimmertür schräg gegenüber des Frauenzimmers und blicken der jungen Frau lüstern nach.
Diese steht nun mit dem Kopf an die Wand gelehnt zur Wand gedreht ein paar Meter neben dem Frauenzimmer auf dem Gang und starrt auf den Boden.

"Die Jungen Männer stellen wohl der junge Frau nach?!", meine ich empört. "Das kann gut sein", entgegnet Muna. "Die junge Frau habe ich jetzt schon den ganzen Tag beobachtet und sie verhält sich sehr komisch. "- Die Männer denken die junge Frau sei leicht zu haben, da sie kein Kopftuch trägt, blonde Harre hat und sich auffallend anzieht. Das kann nicht sein!!! Nachts können Frauen ihre Zimmertüren nicht ab schlissen und so muss sie das schlimmste befürchten.

Ich bin außer mir! Am liebsten würde ich die junge Frau beschützen und sie mit nach Hause nehmen. Ich bin entsetzt!!! Mir kommen die Tränen. Muna beruhigt mich und meint, dass es schon Gut ist, das die Junge Frau ins Frauenzimmer kommt. Das kann für sie ein Zufluchtsort sein. Wir blicken beide noch einmal auf den Gang, aber da ist die junge Frau nicht mehr zu sehen.

Nicht nur, dass die junge Frau von den Männern gehetzt wird, sie wird AUCH von den anderen Flüchtlingsfrauen missbilligend betrachtet...weil sie KEIN Kopftuch trägt. Am liebsten hätte ich ihr in dieser Situation einen Schal zum Schutz übergeworfen! Aber wir kommen überein, dass das auch keine Lösung gewesen wäre!

Was uns bleibt ist in Zukunft aufmerksam zu beobachten was da passiert und uns mit den anderen Helferinnen und Helfern auszutauschen. Wir sprechen mit einigen Helferinnen und erfahren, dass diese junge Frau seit 3 Wochen in der Notunterkunft mit zwei Freundinnen ist. Sie kommt ab und an ins Frauenzimmer. Spricht kein deutsch und will es auch nicht lernen.
Ich werde wachsam bleiben! Kommt sie noch mal ins Frauenzimmer, wenn ich da bin, werde ich sie versuchen anzusprechen und hoffen, dass sie mit mir redet.

Ich gehe noch kurz in den großen Aufenthaltsraum. Da ist es sehr unruhig und ich beschließe daher, ohne meine Gitarre, heute kein Singen zu machen. Nachdem mir eine andere Helferin ihr Herz über die Probleme mit ihren beiden Töchtern ausgeschüttet hat, gehe ich bis über beide Ohren, randgefüllt mit Problemen beladen den Gang hinunter dem Ausgang entgegen. Schritt für Schritt versuche ich das erlebte und gehörte zu verarbeiten.

Im Auto sitzend kann ich mich dann wieder freuen meine "Kleine" von der Schule abzuholen. Mit leuchtenden Augen kommt mir Mariella mit ihrer Freundin im Arm auf dem Schulhof entgegen. Beide sind überglücklich, weil sie sich nach langem Streit nun endlich wieder vertragen haben. Ich bin sehr froh darüber und drücke meine Marie fest an mich. "Ich bin so froh, dass es dich gibt, mein Schatz", küsse ich ihr auf die Stirn. " Du bist die beste Mama, auf der ganzen Welt!" strahlt mir mein Herzblatt entgegen. Eine unglaubliche Wärme und Dankbarkeit durchströmt mich und ich wisch mir schnell ein Tränchen von der Wange.

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