Dienstag, 16. Februar 2016
Was für ein Tag (Berlin, den 21.9.2015)
Heute bin ich aber so was von verquollen aufgewacht. Halsschmerzen, Magenschmerzen, alle Glieder taten mir weh...hatte ich mich am Samstag bei der Tempelhofer Feld Session im strömenden Regen doch erkältet? ...Macht nix, das war es wert, wir hatten so viel Spaß: Der Regen hatte eine Menge schutzsuchender Menschen zu uns unter den Riesen Schirm (Zelt) getrieben wo wir (Freunde und Familie) beisammen saßen, und ich Gitarre spielte und sang. Eine freudige Ausgelassenheit brach aus, als ich "Singing in the rain" improvisierte und wir sangen für Stunden gemeinsam weiter. Es war eine super Stimmung, aber Mords-kalt!

Nichts desto trotz bin ich dann mit einem Schwung aufgestanden. Und los ging's, Frühstück, versäumte Hausaufgaben in Englisch mit Marie noch schnell am Frühstückstisch machen...Gestern: "Nö, wir haben keine Hausaufgaben!" - "Sicher nicht Marie?" - "Nein wirklich nicht!" Und heute morgen, was für ein Schreck, "Die Seite habe ich ja gar nicht gesehen, da muss ich noch voll viel ausfüllen!" - Na Bravo! Dann mit Fahrrad in die Schule geeiert...langsamer, und wir wären rückwärts gefahren!

In der Schule (endlich) angekommen dann erst mal einen Anpfiff vom Klassenlehrer, warum wir IHN nicht ALS ERSTER informiert hätten, dass Maries Brille weg ist (nur allen anderen Lehrern haben wir`s gesagt, aber IHM nicht!) Er sei schließlich der Klassenlehrer und ALLES geht erst mal über IHN. Vor 10 Tagen verloren? "Na dann kann ich jetzt nix mehr für euch tun. Hättet ihr mir das früher gesagt, dann [hätte ich Mariellas Brille nicht zum Frühstück gegessen...-mein Gedanke- so doof hat der reagiert!] hätte ich euch helfen können!"

Nachdem ich noch im Sekretariat meine Anmeldungen für die Sing AG abgeholt hatte bin ich dann wieder nach Hause geeiert (auf dem Rad!).
Selbst 5 Minuten Föhnen hat mich nicht aufwärmen wollen. Ich also meinen wärmsten Pulli mit Kapuze angezogen und meine Hausmittelchen gezückt. Emser-Salz, Vitamin B und Iberogast. Gitarre geschnappt und ab ins Auto... die Heizung auf volle Touren...immer noch eiskalt. Jetzt werden alle Register gezogen...die Sitzheizung hat es dann endlich geschafft...mir wird endlich warm.

Am Rathaus angekommen finde ich direkt vor dem Eingang einen Parkplatz. Na, geht ja!
Der nette Deutsch-Araber begrüßt mich: "Na, mal wieder da?" - "Klar!"
Ich hatte schon im Vorfeld über die Facebook-Seite der Helferinnen erfahren, dass man sich nur noch mit Pass registrieren kann. Alles ging reibungslos.
Ich also wieder zu den Kindern ins Spielzimmer. "Toll, du machst wieder Musik?" Eine nette Kanadische Helferin funkelte mich freudestrahlend an. "Das war so schön letztes Mal, erkennst du mich noch?" - "Ja klar!"

Meinen üblichen Platz einnehmend packe ich unter erstaunten, etwas kritische Blicken meine Gitarre aus und fange an zu spielen. Heute wiederhole ich die Farben. "Der Teppich ist grün." - Einige Kinder (nur Jungen) setzten sich nach einer Weile auf den Teppich. "Grün" - singen wir gemeinsam. "Die Sonne ist gelb." - "Gelb!", tönt es aus den kleine Kinderstimmchen. Begeistert zeigt das einzige Mädchen, das auf einer Truhe sitzt, auf ihren Pulli. "Der Pulli ist pink" ...jetzt wird gerappt...das finden alle toll!
Auf einmal, aus dem nichts heraus, springt ein Junge auf (er hat zuvor eifrig mitgerappt) und fängt an die anderen Jungs zu malträtieren. Er boxt, kneift und schlägt um sich!
Also das kann ich jetzt gar nicht haben... Streng blicke ich ihn an und sage, nachdem ich ihn mehrfach zu verstehen gegeben hatte, das das so nicht läuft, nun mit lauter Stimme (und meine Stimme kann wirklich laut sein!) das er damit aufhören soll! Alle zucken zusammen, nur der zornig gewordene Junge nicht. Ich packe meine Gitarre ein. Die anderen Kinder blicken mich traurig an. Das kann es doch jetzt nicht gewesen sein? Sie wollen alle unbedingt weiter singen, geben sie mir zu verstehen. Eine Helferin nimmt daraufhin den zornig gewordenen Jungen mit nach draußen und wir singen weiter.

Na, das war ja noch mal gut gegangen, denke ich und gehe mit meiner Gitarre in der Hand zum Frauenzimmer. Da begrüßt mich die nette Deutsch/ Arabische Übersetzerin (die ich anfänglich für die Lehrerin gehalten hatte) mit den Worten: "Die Frauen waren ja alle so begeistert von Dir! Schön, dass du wieder gekommen bist."
Ich sage ihr, dass es auch mir viel Freude bereitet habe mit den Frauen zu singen/arbeiten und gehe weiter in das Zimmer, wo sich schon so viele Frauen versammelt hatten, dass kein Stuhl mehr frei war. Eine nette Helferin brachte mir daher einen Stuhl und ich setzte mich nachdem ich die Lehrerin begrüßt hatte an die Seite.

Es war noch nicht ganz 12:00 Uhr, also wollte die Lehrerin erst einmal den Unterricht mit den Frauen ohne mich anfangen. Es war ein solches drunter und drüber, alle redeten durcheinander, als die Lehrerin versuchte den Unterschied zwischen Du und Sie im deutschen zu erklären. Da half es auch nicht, dass eine weitere deutsche Helferin mit Kopftuch auf die Lehrerin einredete wie sie das am besten den Flüchtlinge erklären sollte. Verzweifelt blickte mich die Lehrerin an und fragte: "Können wir das mit Musik versuchen?" Als ich meine Gitarre auspacke wird es still, und die Frauen winkten und zwinkern mir zu, als die Lehrerin ankündigt, ich würde nun mit ihnen singen.

Nun legen wir wieder gemeinsam los: "Wie heißt du" / "Wie heißen Sie?" - "Woher kommst du" / "woher kommen Sie?" - So schallt es in den Gang hinaus - Juhu...das macht so richtig Spaß! Die Frauen kommen beim Zahlen-Rap so richtig in Fahrt "1, 2, 3...", diesmal geht es bis 20. Die Lehrerin und ich arbeiten wieder super zusammen.
"Guten morgen, guten Tag, guten Abend, gute Nacht"...immer wenn es unruhig wird, lasse ich mir etwas lustiges einfallen, einen "Scht, Scht, Scht"-Rap oder ein klassisches/ opern¬haftes: "Leise Leise"... das lässt die Frauen freudig lächeln und sofort innehalten. So macht das lernen mächtig Spaß!

"Wow", meint die Lehrerin am Ende der Stunde, "wir haben heute so viel geschafft, wie sonst nicht in einer ganzen Woche...die Frauen lieben Sie! Wie machen sie das bloß? Sie sagten doch am Anfang, dass es Ihnen heute nicht so gut ginge. Man hat ja gar nicht gehört, dass sie Halsschmerzen haben."
Es macht mir auch so viel Spaß mit den Frauen zu singen/ zu arbeiten, sie sind alle mit so viel Freude dabei und das ist die beste Medizin für mich. Am Ende kommt eine Frau nach der andern zu mir, drückt mir die Hand und bedankt sich freudestrahlend bei mir. Eine Frau ist so überschwänglich, dass sie mich auf die Wange küsst.

Ich werde von einer Helferin die nun reinkommt angesprochen. "Das hat ja so toll geklungen ich habe die ganze Zeit draußen gelauscht. Am liebsten hätte ich mitgesungen/ mitgemacht." - "Warum sind Sie denn dann nicht rein gekommen?" - "Na ich wollte nicht stören!"

Beim Hinausgehen treffe ich die Helferin, die den kleinen zornigen Jungen beim singen mit den Kindern hinausgebracht hatte. Ich wollte mich bei ihr bedanken, da meint sie, sie sei "komplett durch". - "Was ist denn?" - Der kleine Junge habe sie in die Wade gebissen. Sie zieht ihre Leggings hoch und zeigt mir eine blau unterlaufene dicke Bisswunde. Ich bin sprachlos und nehme die Helferin in den Arm. Die Jungs hören nicht gut auf uns Helferinnen, die machen was sie wollen, die Kinder sind von dem ganzen Spielzeug (es ist wirklich bedeutend mehr geworden) völlig überreizt. Wir müssen ständig hinter ihnen her räumen. Weniger Spielzeug wäre besser, meint sie. Das ist mir auch schon aufgefallen, sage ich. Gott sei dank gibt es hier auch männliche Helfer, auf die reagieren die Jungs besser.

Wir gehen dann noch gemeinsam in den 4 Stock, wo die Klassenräume für die Kinder eingerichtet sind. Sie bekommen jetzt auch immer Vormittags Deutschunterricht, da werde ich mich auch mal drum kümmern, ob ich dort beim Unterricht mit den Kindern singen kann.
Ich gehe vorbei an einer mächtigen Schlange von Flüchtlingen, die nun bis zum Treppenhaus hinaus in der Kantine zum Mittagessen anstehen und melde mich am Ausgang ab.

Als ich im Auto sitze ist mir gar nicht mehr kalt, sondern geradezu heiß.
Was für ein Tag!

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