Montag, 20. Juni 2016
Der alltägliche Wahnsinn (Berlin, den 17.2.2016)
Na heute morgen ging `s vielleicht mal wieder heiß her bei uns. Eben der morgendliche Wahnsinn! "Marie bitte komm zieh dich an wir müssen los! "- keine Reaktion. Nur die Ruhe bewahren...bis 25 zählen. Das Kind humpelt durchs Haus: "Aua, mein Fuß tut mir weh." Wir untersuchen also vorsichtig den Fuß, alles scheint ok. "Nun aber los!" Mariella bleibt wie angewurzelt auf dem Treppenabsatz sitzen. Gunnar nun wirklich aufgebracht: "Los jetzt anziehen, wir sind spät! "- keine Reaktion. Gunnar zieht Mariella von der Treppe: "Aua du tust mir weh, Papa!" ein flehender Blick zu mir. Und schon streiten die beiden bis Gunnar schließlich Maries Schultasche packt und ins Auto steigt: "Ich fahr JETZT!" Marie läuft quengelnd zum Auto und steigt mürrisch ein. Was für ein Start in den Tag!

Ich räume noch schnell den Frühstückstisch ab und fahre, nachdem ich noch etwas am Computer gearbeitet habe und einkaufen war, im strahlenden Sonnenschein nach Wilmersdorf.
Im Rathaus angekommen gehe ich mich erst einmal anmelden und wie üblich durch den Hof ins Hauptgebäude. Auf meinem Weg kann ich eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm motivieren in den Frauenraum mitzugehen. "Ich werde dort singen". -Ja das ist schön! Sie kommt freudestrahlend mit in den 3 Stock.

In den drei Frauen-Räumen ist mächtig was los. Im Näh- Zimmer wird eifrig genäht: Hallo- es werden freundliche Blicke getauscht. Im kleinen Deutschzimmer sitzen zwei Frauen (die letztes Jahr so schön mit mir geschunkelt hatten) mit der Deutschlehrerin und arbeiten konzentriert, als ich kurz in den Raum blicke um "Hallo" zu sagen. Ein kurzer freundlicher Austausch mit der Lehrerin und den beiden jungen Frauen die auf ein kleines Babymädchen neben sich auf dem Tisch in einer Tragetasche zeigen. ( im November trug die eine junge Frau das Kind noch unter dem Herzen). So süß ist die Kleine! Ich bin entzückt. Da zupft ´s an meinem Pulli. Ein kleines Mädchen möchte dass ich nun endlich in den großen Raum zum singen kommen.

Also gehe ich dann ´last but not least` in den großen Aufenthaltsraum wo der Bär steppt. Mindestens 20 Kinder wuseln um mich rum...es wird getanzt, gequietscht und gelacht. Das Kinderzimmer ist heute zu und somit sind die Kleinen alle hier. Ich setze mich mitten in den Raum, hole meine Gitarre raus und nachdem sich alle im Kreis um mich herum platziert haben fangen wir an.

Hallo! H- A- L-L- O! Ich trommele den Rhythmus auf der Rückseite meiner Gitarre. Dann geht's Reih um: Ich heiße...., wie heißt du? Alle machen etwas erstaunt, aber durch den Rhythmus angetrieben freudig mit.
Dann geht's ans Alphabet und schließlich an die Farben.

Als ich am Schluss meine Gitarre einpacken will, kommt ein Kind nach dem andern und streckt mir eine Karte mit einem Kinderlied drauf entgegen. "Singen!" Also singe ich mit Gitarre: Fuchs du hast die Gans gestohlen; Summ, Summ Summ; Alle meine Entchen; Der Kuckuck und der Esel; Auf der Mauer auf der Lauer; Es tanzt ein Bi-Ba Butzemann. Immer schneller strecken sie mir neue Karten entgegen. Die Kinder haben mächtig Spaß und werden nicht müde immer wieder neue Karten empor zu recken... bis ich passe.

"Jetzt ist Schluss ihr Lieben! Vielleicht schaffe ich es ja diese Woche Freitag noch einmal wieder zu kommen". -" Prima, da freuen wir uns", meint Muna. (Die es bedauert hatte, dass sie heute leider recht spät dazu gestoßen war.)

Nach einem längeren Gespräch mit Muna über Montessori- und Waldorfschulen, erfuhren wir von der jungen Frau mit dem Babymädchen in der Tragetasche, dass die Frauen in der Notunterkunft ihre gesamte Post noch immer nicht erhalten hatten (wie z.B. ihre Geburtsurkunden, auf die sie schon seit Monaten warteten), weil die Namen falsch aufgeschrieben/ nicht gut übersetzt wurden und somit ihre Empfänger bis dato immer noch nicht erreichen konnten.
Wer spricht schon im Postamt arabisch? Kaum einer! So kann's gehen und so warten und warten alle geduldig bis hoffendlich bald der ersehnte Brief seinen richtigen Empfänger findet.

Muna und ich gehen heute gemeinsam zur Strasse: "Bis vielleicht Freitag, Lia!"- "Ja ich schau mal ob ich `s schaffe,"
Jetzt schnell ins Auto und den Spendenbeutel mit Kinderkleidern an der Kleiderkammer abgeben und ab zum Baumarkt eine Leselampe für Gunnar kaufen, nach Hause fahren, kochen und dann Mariechen abholen!

Freudestrahlend kommt Marie mir am Schultor entgegen. Die Welt ist wieder in Ordnung:
"Mama du bist die Beste!"

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