Mittwoch, 6. April 2016
Chaos (Berlin, den 2.11.2015)
Also heute ging`s ja ab. Nicht nur dass ich fast von einem Fahrradfahrer beim Aussteigen aus meinem Auto überfahren wurde. "Pass doch auf!" Wusch, zog das Fahrrad an meiner Nasenspitze vorüber. Puh, das war ja noch mal gut gegangen.
Nein, da stand mein Auto nun auch noch gerade mal 1 mm von einem Metallpfeiler entfernt! War ich doch beim Einparken (von einem mitfühlenden Autofahrer) freundlich auf die Parkplatz eingrenzenden Pfeiler aufmerksam gemacht worden. "Ja, klar ich pass auf", und als ich dann so hinter meinem Wagen stehe um mein Gitarre auszupacken sehe ich, dass ich wirklich Glück gehabt hab, dass es nicht -ratsch- gemacht hat und das Auto keine Kratzer abbekommen hat.

Ich gehe mit klopfendem Herzen, den Schock noch verarbeitend, zum Rathaus und bemerke, dass ich gar kein Pflaster mehr auf meinem Finger (den ich mir gestern beim Säubern eines Joghurtglases verletzt hatte) habe. Vielleicht kann ich ja so gar nicht gut Gitarre spielen, denn gestern hat der Schnitt wie wild geblutet und wenn mir die Wunde beim spielen wieder aufgeht, na dann "Prost Mahlzeit!" Ich also mich dazu entschlossen, heute nur Akkorde zu spielen, wo ich den kleinen Finger nicht brauche.

So in Gedanken steh ich auf einmal direkt vor einem blauen Häuschen vor dem Rathaus. Vor dem Häuschen stehen zwei Wächter, die strahlen als ich ein: "Wow, schicker Infostand!" ausrufe. Im Infostand werden dann meine Daten, durch ein kleines Fensterchen hindurch, aufgenommen. Nachdem ich mir im Rathhaus dann mein Umhängeschild abgeholt habe geht`s weiter ins Hauptgebäude, begleitet von einer Helferin, die auch in den Frauenraum möchte.

Dort ist so einiges los, da wird an der Nähmaschine (denn es gibt ja jetzt nur noch eine!) genäht. Im Unterrichts-/Aufenthaltsraum wuselt es von Kindern, die auf mich zu stürmen und meine Gitarre haben möchten. Ich sage ihnen, dass ich erst mal die Gitarre abstelle um dann mit ihren Müttern zu singen. Ein kleiner Junge lässt sich aber nicht beirren und zupft am Reisverschluss der Gitarrenhülle. Ich bitte ihn freundlich aber bestimmt, die Gitarre samt Tasche in Ruhe zu lassen und mache mich dran, die Poster an der Tafel zu fixieren. Auf einmal - Peng -, knallt meine Gitarre gegen die Tafel. Der kleine Junge hatte sie in Windeseile ausgepackt und umgeschnallt und steht nun wie "Elvis Presley" in seinen besten Jahren vor mir.

Wenn das nun nicht meine Gitarre in seiner Hand wäre, die nun eine mächtige Delle am Gitarrenhals hat, hätte ich bei seinem Anblick sicher gelächelt...aber so nehme ich ihm die Gitarre aus der Hand und sage deutlich, dass das mein Arbeitsinstrument ist und daher für mich sehr kostbar. Ob er mich verstanden hat, wage ich zu bezweifeln. Was mich stutzig macht ist, warum seine Mutter (die wohl irgendwo in der Nähe ist) ihn nicht zurückgepfiffen hat. Es scheint den Frauen egal zu sein und das macht mich traurig. Ich bitte daher freundlich eine Helferin, die mit den Kindern auf dem Boden rumwuselt, mit den Kindern in einen der anderen Nebenräume zu gehen. Die andere Helferin (die mit mir zusammen nach oben gekommen ist) bitte ich zugleich, sich vor die Tür zu setzen und die Kinder die in den Raum wollen abzufangen, so dass ich in Ruhe mit den Frauen singen /arbeiten kann.

Ein Gewusel und Geräume, ich bitte die Frauen nun Platz zu nehmen und ende mit einer jungen Frau (die letzte Woche gut mitgemacht hat) alleine im Raum. Wir fangen an, zu singen/arbeiten. Sie schielt ständig auf ihr Handy in der Hand. Nach mehrfachen Unterbrechungen durch Piepsen und komische Kindergeräusche aus ihrem Handy bitte ich sie dann doch einmal das Handy aus der Hand zu legen, so dass wir weiter arbeiten können.

Mit jeder neuen Übung scheint es ihr mehr Spaß zu machen. Es gesellt sich noch eine junge Frau dazu und ich ziehe das Tempo mächtig an. Trotz ständiger Unterbrechungen durch Kinder die rein stürmen, - bums - da fällt ein Becher mit tausend kleinen Löffelchen am Kaffeestand um (keine Mutter weit und breit die sich verpflichtet fühlt), wir müssen wieder einmal unterbrechen...es geht nur schleppend weiter. "Was mach ich eigentlich hier ?", durchfährt es mich auf einmal...ich halte inne und frage die Frauen, ob sie überhaupt weiter machen wollen...wegen mir muss es nicht sein...sie verstehen mich wahrscheinlich gar nicht richtig, denn sie schütteln den Kopf, aber als ich mit ihnen weiter singe, strahlen sie über beide Ohren und machen gut mit.

Muna schaut kurz rein und entschuldigt sich, ihre Tochter hat sich in der Schule den Kopf angeschlagen und deshalb muss sie sofort wieder los. Ich freue mich sie zu sehen und berichte ihr, dass es die letzten Male sehr unruhig im Raum war und die Teilnehmerzahl immer mehr zu wünschen übrig lässt. Ich überlege mir, es sein zu lassen, schließlich möchte ich mich nicht aufdrängen. Muna verspricht mir, wir finden eine Lösung/ vielleicht machen wir beide in Zukunft den Kurs zusammen." Lass uns doch bitte mal diese Woche sehen, wie die anderen Tage laufen und dann machen wir noch mal eine Lagebesprechung. Ja?"

Als ich dann noch ein paar Minuten mit den beiden Frauen weitermache gesellt sich ein 9-jähriges Mädchen dazu. Sie möchte am liebsten gar nicht mehr aufhören, stellt sich an die Tafel: "Bitte weiter machen!" Erschöpft packe ich dann doch irgendwann meine Gitarre ein. In der Zeit reißt das Mädchen plötzlich einen Schrank auf und zerrt an einer Kiste mit Spielzeug. Sie kramt alles mögliche Spielzeug raus...ich habe genug und wende mich zum Gehen, da bittet sie mich ihr zu helfen...ich greife nach der Kiste und -ratsch- da ist mein Finger wieder aufgerissen...ich blute ...Mist...ein anders Mädchen reicht mir ein Taschentuch. Ich binde es um den blutenden Finger, bedanke mich und will jetzt nur noch weg!

Am Ausgang gebe ich mein Schild am Infostand mit der Bekundung ab, dass es heute recht anstrengend war und werde von der Sozialpädagogin (die vor 2 Monaten hoffnungsvoll in den Frauenräumen saß) nun bequatscht..."Melde das doch der Direktion...da muss sich was im Frauenraum und Kinderzimmer ändern!... "
Ach, die ist also immer noch da, sie meinte doch schon vor ein paar Monaten: Ich habe genug gesehen! ...Anscheinend doch nicht.
"Ich möchte jetzt aber nicht so einen Wind machen", sage ich ihr und schreite von dannen...

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