Dienstag, 22. März 2016
Super wichtig (Berlin, den 19.10.2015)
Gestern hat mich Gunnar, nachdem wir Marie zum Reitunterricht gebracht hatten (es sind ja jetzt Herbstferien und sie geht diese Woche immer von 9-12 Uhr reiten) zum Rathaus gefahren. Was für ein Service!
Ich komme also ohne Parkplatzsuchstress an den Pforten des Rathauses an, zeige meinen Pass, lass mich eintragen und gehe zum Infostand im Seitengebäude um mein Umhängekärtchen mit meinem Namen abzuholen. Eben das übliche Prozedere.

Da ich im Plan gesehen hatte, dass ich heute wohl die einzige Helferin im Frauenraum sein würde (wahrscheinlich wegen der Herbstferien), frage ich gleich nach dem Raumschlüssel. "Nein, den brauchen Sie nicht, da ist noch eine weitere Helferin im Frauenraum, die hat den Schlüssel." Schön, denke ich, dann bin ich doch nicht ganz allein.

Ich mach mich also auf: durch den Hof ins Hauptgebäude, wo mir im Treppenhaus einer der Wächter freudestrahlend entgegen ruft: "Toll, du bist wieder da: komm, setz dich neben mich und singe!" Ich teile ihm mit, dass ich heute leider nicht die Zeit dafür habe (ich habe mich in etwa einer Stunde mit Gunnar und Marie im Park-Cafe zum Mittagessen verabredet, juhu!). "Och nö, es ist ohne deine Musik so langweilig hier!" Ich muss schmunzeln und gehe die Treppen hoch in den 3. Stock.

Vor dem Frauenraum stehe ich dann vor verschlossenen Türen...nanu? Keiner da?
Da kommt eine aufgeregt, rot angelaufene Helferin mit mehreren Schlüsseln um den Hals und wehenden Haaren auf mich zugerannt: "Wo wollen Sie denn hin?"
Ich ihr also gesagt, dass ich seit einiger Zeit Montags von 12-13 Uhr immer mit den Frauen Sing-/ Deutschunterricht mache.
Sie schnaubt mich an: "Das geht aber nicht...Sie sind doch dann ganz alleine im Frauenzimmer... letzte Woche ist so viel im Frauenzimmer geklaut worden...eine Nähmaschine, eine große Schere und vieles mehr. Es muss eine Familie sein, mit vielen Kindern, das weiß ich ganz genau...HIER WIRD GEKLAUT!" Sie redet so schnell, aufgebracht und hektisch, dass die Schlüssel um ihren Hals wie wild auf und ab wippen/ klimpern. Mir wird ganz schwindelig.

Ich versuche, sie zu beruhigen indem ich ihr versichere, den Raum während meines Unterrichts/ Singen, von innen abzuschließen...Das scheint sie zu überzeugen, so dass sie mir (erst widerwillig, aber dann schließlich doch noch) den Schlüssel für den Raum gibt.
Puh, das wäre geschafft! ...Ich also den Raum aufgeschlossen... "Aber pass auf, dass du die Frauen immer im Visier hast", dröhnt es an mein Ohr. Sie steht direkt hinter mir und fuchtelt mit den Armen, "denn letzte Woche ist eine Nähmaschine und..." "Ja, das hast du mir schon gesagt", antworte ich, nun etwas angenervt. Warum sie denn nicht einfach mitkommt und aufpasst, sie hat sich doch für das Frauenzimmer eingeteilt, oder? Sonst hätte sie doch nicht den Schlüssel. "NEIN, das kann ich nicht! ICH bin im Kinderzimmer!!" - Ok, es sind ja NUR noch 3 Helfer für zwei Kinder da, da wird sie sicherlich super gebraucht (!).

Es luken 3 junge Frauen/Mädchen (ca.16-18 Jahre alt) in den Frauenraum. Ich motiviere sie, mitzumachen. Es kommen noch 3 weitere junge Frauen/Mädchen und eine Rechtsanwältin (die immer sehr begeistert von meinem Unterricht war) dazu.
Um 12 Uhr schließe ich die Tür von innen ab (weil ich es ja versprochen hab) und wir fangen an. In einem rasenden Tempo wiederhole ich alles der letzten Wochen...die jungen Frauen/Mädchen waren bei mir noch nie dabei, sind aber super schnell mitgekommen, so dass ich schon richtig kniffelige Spiele mit ihnen machen kann. Sie müssen das gesungene Wort/ die gesungenen Wörter auf Tafeln zeigen. Das klappt prima und die Mädchen sind richtig im Groove und singen aus vollem Halse mit. Es klopft draußen an der Tür und die Frau (die beim ersten mal Kopfschmerzen hatte) gesellt sich dazu. Wir arbeiten alle sehr konzentriert und zügig weiter.

Am Ende verabschiedet sich die Gruppe bei mir und die Anwältin (die sehr motiviert ist und im Unterricht ab und an für mich übersetzt hat) verabschiedet sich mit einem warmen Händedruck und gibt mir zu verstehen, dass dieser Unterricht für sie etwas ganz besonderes sei. Ich bedanke mich und motiviere sie und die anderen, nächstes mal wieder zu kommen.
Die jungen Frauen/ Mädchen wollen gar nicht gehen und mir tut es sehr leid, ihnen mitteilen zu müssen, dass ich den Raum jetzt wieder abschließen muss, weil ich heute alleine bin.

Vor dem Raum unterhalten sich zwei Frauen mit der "Schlüsselwächterin". Ich frage nur kurz, ob sie als Helferinnen den Frauenraum übernehmen wollen...da prustet die "Schlüsselwächterin" erneut los, dass SIE im Kinderzimmer sei und der Raum jetzt abgeschlossen werden müsse, da letzte Woche eine Nähmaschine etc. geklaut wurde, von einer Familie...Hat die einen Filmriss? Wie oft will die mir das noch erzählen? Ich klappe die Ohren zu und wende mich an die zwei anderen Frauen. Die sind sehr freundlich und teilen mir mit, dass sie vom Schulamt sind und gerne die Mütter/Eltern motivieren wollen, die Unterlagen für den Besuch ihrer Kinder an den öffentlichen Schulen zu unterschreiben. Ich biete ihnen an, nächste Woche mit den Frauen in meinem Unterricht zu reden. Wir vereinbaren, dass sie gegen 13 Uhr mit Dolmetschern vorbeikommen und sie bedanken sich bei mir.

Dann schließe ich den Raum ab und gebe den Schlüssel an "Miss Wichtig", die ihn sogleich demonstrativ an ihren Schlüsselbund um ihren Hals befestigt. Ich verabschiede mich. Auf dem Gang kommt eine weitere Frau (Helferin?) auf mich zu und fragt, ob ich im Frauenzimmer war, denn sie würde gerne in den Raum, und der sei abgeschlossen. Also gehen wir gemeinsam zurück zu "Miss Wichtig".

Auf unsere Frage, ob die Frau den Schlüssel für den Raum bekommen könnte, bekommen wir nur die Antwort: "Nein", IHREN Schlüssel bekomme sie (die nun sehr erstaunt dreinblickende Helferin) auf gar keinen Fall, den Schlüssel muss sie sich schon selber unten beim Infostand holen (wir blicken uns mit einem Kopfschütteln gegenseitig an), IHREN gibt sie nicht mehr raus...denn letzte Woche sind eine Nähmaschine, eine Schere und diverses andere Material aus den Räumen geklaut worden...das war eine ganz bestimmte Familie!

"Ach nö", entwischt es mir, "dass habe ich jetzt schon zum zigsten Mal gehört. Es ist angekommen!" "Ja, ich weiß", quengelt "Miss Wichtig" dann, sie sei letzte Woche im Frauenraum/ Nähzimmer ziemlich streng gewesen, nur einmal sei sie für einen kurzen Moment aus dem Raum und danach waren alle Sachen weg..."Ich kann doch nichts dafür!" - Also daher weht der Wind, die Sachen sind weg, weil SIE nicht richtig aufgepasst hat.- Ich muss schmunzeln, die andere Frau auch...ok dann gehen wir eben runter zum Infostand und holen einen weiteren Schlüssel (falls es einen gibt!).

Auf dem Weg zum Infostand sind (die Frau und ich) uns sicher, dass "Miss Wichtig" sich sicher selber Vorwürfe macht, dass nun die Sachen weg sind, weil sie nicht aufgepasst hat. Sie möchte jetzt alles ungeschehen machen, indem sie alle mit ihrer "Abschließ -Manie" nervt. Die Frau berichtet mir, dass sie so gerne mit den Frauen genäht hätte, denn sie selber kann gut nähen.

Als wir dem Helfer am Infostand über die Schlüssel-Odyssee mit "Miss Wichtig" berichten, fällt der aus allen Wolken. "Das ist doch nicht möglich...wir haben nur einen Schlüssel...die soll die freundlichen Helfer mal nicht daran hindern zu helfen. "
Ich trage mich aus und wünsche der netten Frau, die ja nur helfen wollte, alles Gute und gehe meiner Wege zum Park-Cafe, wo Gunnar und Marie freudestrahlend sitzen und auf mich warten.

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